1854 verkauft Leutesheim seine Rheininsel

Die zwielichtige Rolle, die Michel Karch der Sechste bei dieser Geschichte gespielt hat, könnte mit ein Grund dafür sein, dass sich die Bürger in Leutesheim lange nicht entscheiden wollten, eine linksrheinische Insel zu verkaufen. Das schreibt Karl Keck in Kapitel D seines neuen Buches mit dem Titel »Suche nach Grenzen«. Leutesheim brauchte das Geld aber dringend zu Schuldentilgung. Knapp vier Jahre lang wurde über das Thema debattiert.

Michel Karch war nach der gescheiterten Revolution von 1849 und der Flucht des zu Zuchthaus verurteilten Bürgermeisters Mathias Zimmer das neue, von der Obrigkeit kommissarisch eingesetzte Dorfoberhaupt. Bei dieser Vorgeschichte musste Karch in Leutesheim nicht das größte Ansehen gehabt haben. Man traute ihm wohl nicht. Letztendlich wurde der Verkauf der 45 Hektar großen Insel am 23. Januar 1854 aber vollzogen. Michel Karch ersteigerte die Insel für rund 7 000 Gulden im Auftrag des Barons Buisiere aus Straßburg.

Der Verkauf wurde in Leutesheim seinerzeit damit begründet, dass die Waldhut auf der in Frankreich liegenden Insel nicht mehr gewährleistet war. Die Insel lieferte den Leutesheimern Brennholz und Futter für das Vieh. Und sie war ein idealer Platz für den Entenfang. Weil abgelegen, kam es aber immer wieder zu Holzfrevel. Aus einem Rechnungsbuch aus dem Jahre 1842 geht hervor, dass die Gemeinde den Förster Hemmerle aus dem elsässischen Ruprechtsau mit der Aufsicht betraut hatte. Hemmerle kam seiner Pflicht auch nach, doch das badisches Amt hatte wohl keine Handhabe, Straftäter auf französischen Staatsgebiet zur verfolgen.

So berichtete der Leutesheimer Gemeinderat am 19. Dezember 1853 dem badischen Amt in Rheinbischofsheim, »dass die Insel wie ein herrenloses Gut abgefrevelt wird und der Werth von Jahr zu Jahr sinkt«. Der geschätzte Verkaufserlös sank dadurch in vier Jahren von 9 000 auf 7 015 Gulden. Der Gemeinderat war dennoch fest entschlossen, die Insel »mithin zu diesem Steigschilling loszuschlagen«, heißt es in dem Beschluss.

Am 24 Januar 1854 ließ der Gemeinderat die Leutesheimer über den angedachten Verkauf abstimmen. Sämtliche Bürger wurden vorgeladen mit der Bemerkung, dass wenn die gehörige Zahl nicht erscheinen sollte, man jeden Fehlenden mit einer Strafe von 15 Kreuzern belegen müsse. Für einfache Arbeiter fast ein Tageslohn. Von 143 stimmberechtigten Bürgern erschienen 103 und 62 stimmten dem Verkauf zu, was nach geltendem Recht ausreichend war.

Leutesheim brauchte den Verkaufserlös dringend. Vor allem um Schulden zu tilgen. Die waren durch Revolution und von Dürre ausgelöste Hungerjahre aufgelaufen.

So wurde am 23. Februar 1854 die »Abtragung folgender Capitalschulden« verfügt: Jeweils 400 Gulden bei Frau Pfarrer Hönig in Willstätt und dem Hirsch-Wirt Pfetzer in Hesselhurst. 2 200 Gulden bei Friederike und Jakob Durban aus Freistett. Und mit 245 Gulden stand Leutesheim bei Friedrich Haus aus Diersheim in der Kreide. Die Gläubiger waren also allesamt vermögende Privatpersonen.

Was nach Abzahlung dieser Schulden noch übrig blieb, sollte als Grundstockvermögen angelegt werden »bis eine schickliche Erwerbung von Liegenschaften, die der Gemeinde Nutzen bringt, gemacht werden kann«, heißt es in dem Protokoll.

Ein Taglöhner verdiente seinerzeit in etwa 80 Gulden im Jahr. Und der Bau eines kleinen Fachwerkhauses kostete rund 800 Gulden.

BU: Auf den Rheininseln wurde Mitte des 19. Jahrhunderts Brennholz geschlagen, Futter für das Vieh geschnitten und Wildenten gefangen. 1854 verkaufte Leutesheim seine Insel aus finanzieller Not.

Text/Foto: Jürgen Preiß

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