40 Jahre Eingemeindung: Leutesheim wollte unabhängig bleiben

Gut aufgestellt war Leutesheim, als es vor exakt 40 Jahren in die Große Kreisstadt Kehl eingemeindet wurde. Entsprechend groß war der Widerstand gegen die Aufgabe der Selbstständigkeit. Geblieben ist der ausgeprägte Hang zur Eigeninitiative.

Kehl-Leutesheim. Wer verliert schon gern seine Selbstständigkeit?« So bringt Ex-Ratschreiber Helmut Keck die Stimmung vor 40 Jahren in Leutesheim auf den Punkt. Damals war die Reform der Landkreise und Kommunen das beherrschende Thema. Mit der Auflösung des Landkreises Kehl wurde der Status einer Großen Kreisstadt für Kehl unabdingbar – das ging nur mit Eingemeindungen. Kein Wunder, dass der damalige OB Trudpert Müller auch Leutesheim mit seinen schon seinerzeit rund 1400 Einwohnern in den Blick nahm. Zudem war Kehl für die Leutesheimer schon immer Einkaufs-, Dienstleistungs- und Arbeitsplatzstadt. Und viele wichtige Ämter und Einrichtungen wie Vermessungsamt, Notariat, Krankenhaus und weiterführende Schulen waren in Kehl angesiedelt.

Ansonsten jedoch hatten die »Litzmer« alles, was sie brauchten: Einige Neubaugebiete waren bereits an eine Teilsammel-Kläranlage angeschlossen; die Schule war zum Rathaus, der einstige Farrenstall zum Feuerwehrhaus umgebaut, Kindergarten und Friedhof waren erweitert worden; die Mehrzweckhalle gab es auch schon. Auch der Zweckverband »Gruppenwasserversorgung Korkerwald«, von dessen Wasserwerk bei Holzhausen Leutesheim bis heute sein Trinkwasser bezieht, existierte schon. Und es gab finanzkräftige Firmen im Ort – unter anderem die Firma Jaco, die Kunststoffverpackungen herstellt, ein Sägewerk und nicht zuletzt ein Kieswerk. »Leutesheim war gut aufgestellt«, erinnert sich Emil Weislogel, über 30 Jahre lang im Gemeinde- und später im Ortschaftsrat von Leutesheim und Ortsvorsteher-Stellvertreter.

Sein »Chef« August Karch, letzter Bürgermeister und späterer Ortsvorsteher, ließ denn auch nichts unversucht, um den »Anschluss« an Kehl zu verhindern. Darin wusste er sich mit der großen Mehrheit der Leutesheimer einig. Und die machten ihrem Unmut zum Teil auf sehr originelle Weise Luft. Ex-Ortsvorsteher Ernst Kleinmann erinnert sich noch an einen Auftritt von Gertrud Ponath, einer ortsbekannten Musikerin und »Litzmer« Original, beim Silvesterball des Schützenvereins in der Mehrzweckhalle. Vor der Bühne war ein Sarg aufgebaut, und dann stimmte sie ein altes Lied aus dem Hanauerland an, das sie zu einem Protestlied gegen die Eingemeindung umgetextet hatte: »Ihr Leut’, kauft Souvenirs, als Wiedekepf’ verschwinde mir, dass mir noch e Andenke ans alte Litze henn. Vum Stierstall de Hörner, vum Gäsbock de Bart, das wird für de Kähler OB als Geschenk uffbewahrt…« (»Wiedekepf’« war der Spitzname für die Leutesheimer, d. Red.) Und schließlich wurde der Sarg vor der Mehrzweckhalle verbrannt.

Verschiedene Alternativen wurden damals durchdekliniert – etwa die Gründung eines Gemeindeverwaltungsverbandes zusammen mit den heutigen Rheinauer Süd-Stadtteilen und den Nachbardörfern Bodersweier und Querbach. Oder ein Zusammenschluss der vier Kehler Nordstadtteile zu einer Gesamtgemeinde. Aber das scheiterte – nicht nur an der Unnachgiebigkeit der Behörden, sondern auch an persönlichen Eitelkeiten. Vor allem August Karch und sein Auenheimer Amtskollege Albert Heidt seien sich nicht »grün« gewesen. »Jeder wollte Chef sein«, erinnert sich Emil Weislogel.

Schließlich ergab sich der Leutesheimer Gemeinderat in sein Schicksal und stimmte dem Abschluss eines Eingliederungsvertrags zum 1. Januar 1975 zu. Große Versprechungen, wie bei so manchem anderen Ortsteil, machte Kehl nicht: »Denkmäler der Eingemeindung gibt es in Leutesheim nicht«, brachte es August Karch 1985 in einem Interview mit der Kehler Zeitung auf den Punkt. Immerhin: Der Hartplatz am Sportgelände, von der Ortschaft noch geplant, wurde mit Hilfe Kehls fertiggestellt, der gesamte Ort wurde an die Kanalisation angeschlossen, und die Stadt kaufte das alte ZG-Gebäude auf – heute ist dort der Jugendtreff untergebracht.

Inzwischen haben die Leutesheimer ihren Frieden mit der Eingemeindung gemacht. »Wir brauchen heute größere Verwaltungseinheiten«, sagt Ernst Kleinmann. Geblieben ist indes der ausgeprägte Hang zur Eigeninitiative, ohne die manches nicht möglich gewesen wäre: Der Grillplatz, die Brücke am Feuerwehrhaus, die Brücke im Hinterhof, das Hallen-Foyer, der Umbau des alten »Backhiesels« hinterm Rathaus, Umbau und Erweiterung des Jugendtreffs – da packten die »Litzmer« lieber selber an, als abzuwarten, bis man im Kehler Rathaus zu Potte kommt. »Obrigkeits-Hörigkeit«, sagt Ernst Kleinmann, »ist bei uns nicht ausgeprägt.«

Protest gegen den »Anschluss« an die Stadt Kehl: Beim Silvesterball des Schützenvereins 1974 wird Leutesheim symbolisch zu Grabe getragen. Vor der Mehrzweckhalle wurde der Sarg schließlich verbrannt. Inzwischen haben die Leutesheimer ihren Frieden mit der Eingemeindung gemacht. Repro: »Aktives Dorf Leutesheim« e. V.

Text: Michael Müller
Archivfoto/Repro: Aktives Dorf Leutesheim e. V.

 

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